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Das Rote Wien: sozialdemokratische Politik und kommunaler Wohnbau
der Zwischenkriegszeit
In den Jahren nach dem ersten Weltkrieg waren die Lebensbedingungen der arbeitenden Bevölkerung in der überfüllten, für die kleine Republik viel zu großen Hauptstadt bedrückend: es herrschte Mangel an allem, an Lebensmitteln, an Kleidung, an medizinischer Versorgung und vor allem an Wohnraum. Soziales Elend, Krankheit und Alkoholismus waren die Folge. Die ersten freien Wahlen 1919 brachten eine sozialdemokratische Mehrheit in der Stadtverwaltung und 1922 wurde Wien ein eigenes Bundesland: dies ist als Geburtsstunde des sogenannten Roten Wien zu werten. In Gesundheit, Erziehung, Bildung, Kultur und Wohnen setzt die sozialdemokratische Gemeindeverwaltung auf der ideologischen Grundlage des Marxismus ein beispielloses Reformprogramm um, das die Stadt bis heute entscheidend prägt. Die bemerkenswertesten sichtbaren Zeugnisse des Roten Wien in den Jahren 1922 bis 1934 sind ohne Zweifel die kommunalen Wohnbauten. Aber hinter den Sozialprojekten stand ein viel ambitionierteres Ziel: die Schaffung eines „neuen Menschen“ und einer neuen, gerechteren Gesellschaftsordnung.
Programm
Der Rundgang bietet faszinierende Einblicke in die Bauten des Roten Wien. Wir starten bei dem im 19. Bezirk gelegenen monumentalen Karl-Marx-Hof. Der gewaltige, mehr als einen Kilometer lange Block wurde für 1380 Wohnungen konzipiert. Darüber hinaus beherbergt er eine Vielzahl an Versorgungseinrichtungen wie Gasthäuser, Geschäfte, Kindergärten, Waschsalons, eine Zahnklinik, Apotheke, Turnhalle, Bibliothek usw. Mit der Ubahn fahren wir dann in den 5. Bezirk zu jenem Gürtelabschnitt, der programmatisch die "Ringstrasse des Proletariats" genannt wird. Dort findet sich eine ganze Reihe beeindruckender Gemeindebauten, die gleichsam ein eigenes Stadtviertel mit Infrastruktur bilden. Nach einer kurzen Fahrt über den Gürtel erreichen wir den grandiosen Reumann-Hof. Mit seiner mächtigen Fassade und dem arkadengesäumten repräsentativen Vorhof zeugt er vom Selbstbewusstsein der neuen Zeit und schließt sehr bewusst an die historische Palastarchitektur an. Es überraschen viele schöne dekorative Details.
Der daneben gelegene Metzleinstaler-Hof, der als erster Sozialbau des Roten Wien 1920 errichtet wurde, wirkt dagegen blockhaft geschlossen, zeigt aber interessanten Putzdekor und bunte Keramikbänder an den Außenfassaden. Wir kommen darauf zum imposanten Herwegh-Hof. Der Gemeindebau wirkt nahezu intim und bietet einen bühnenartigen Innenhof mit reizenden architektonischen Details. Über den gemütlichen Chiavacci-Park gelangen wir in den Julius-Popp-Hof am Margaretengürtel. Gegenüber liegt der beeindruckende Doppelflügelbau des Matteotti-Hof, der an den von den Faschisten 1924 ermordeten italienischen Sozialdemokraten Giacomo Matteotti erinnert.
Wir beschließen unsere Führung nach einem Spaziergang durch den belebten multikulturellen Bezirk Margareten in der Nähe der Ubahnstation Pilgramgasse.
Praktische Hinweise
TREFFPUNKT: wir treffen uns an der Endstation der Ubahnlinie U4 Heiligenstadt, Ausgang: 12- Februar-Platz.
DAUER DES RUNDGANGS: 2,5 Stunden.
FAHRKARTEN: Es ist günstig, sich vor der Führung Fahrkarten für den öffentlichen Verkehr zu besorgen.
WEITERE BESICHTIGUNGSVORSCHLÄGE:
Die Dauerausstellung zum Roten Wien im Karl-Marx-Hof (ehemaliger Waschsalon). Das kleine Museum ist Donnerstag von 13.00 bis 18.00 und Sonntag von 12.00 bis 16.00 geöffnet.
Empfehlenswert ist überdies ein Besuch im Wien Museum (Museum der Stadtgeschichte) auf dem Karlsplatz.
LEKTÜREEMPFEHLUNG: Inge Podbrecky, Rotes Wien: Fünf Routen zu gebauten Experimenten, von Karl-Marx-Hof bis Werkbundsiedlung, Wien (Falter) 2013.
Peter Autengruber, Ursula Schwarz, Lexikon der Wiener Gemeindebauten. Namen, Denkmäler, Sehenswürdigkeiten, Wien (Pichler) 2013.
Gerald Kriechbaum, Karl Marx Hof: Versailles der Arbeiter, Wien (Holzhausen) 2008.
Helmut Weihsmann, Das Rote Wien. Sozialdemokratische Architektur und Kommunalpolitik 1919-1934, Wien 2002.
(© alle Fotos Reinhard Travnicek)