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Das jüdische Wien

 

 

Der ehemalige Türkische Tempel © Wikimedia Commons - Public Domain
Der ehemalige Türkische Tempel © Wikimedia Commons - Public Domain

Seit der Babenberger-Zeit spielen Juden in der politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Geschichte der Stadt eine eminente Rolle. Die erste bedeutende jüdische Ansiedlung befand sich im Bereich des heutigen Judenplatzes. 1420/21 im Kontext der Hussitenkriege wurde die Gemeinde auf grausame Weise vernichtet und die Synagoge, deren Reste vor Kurzem zu Tage gefördert wurden, zerstört. 1670 erfolgte eine neuerliche Vertreibung der Juden, die damals im Leopoldstädter Getto jenseits des Donaukanals siedelten. 

Erst durch das Toleranzpatent Josephs II. 1782 verbesserte sich die politische und soziale Lage der jüdischen Bewohner merklich. Viele sahen nunmehr in der Assimilation den gebotenen Weg und nahmen den Lebensstil der gebildeten bürgerlichen Elite an. Jüdische Salons wie jener Fanny Arnsteins wurden zu Zentren kulturellen Austauschs und bürgerlicher Geselligkeit in der Zeit des Wiener Kongresses und der Restauration.

Die bedeutendste Epoche des Wiener Judentums ist aber die franzisko-josephinische Ära. Durch vermehrten Zuzug aus den östlichen Kronländern wächst die jüdische Bevölkerung in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts sprunghaft an und erreicht um 1900 ca. 180.000 (10% der Gesamtbevölkerung). Jüdische Bankiers und Industrielle tragen maßgeblich zur wirtschaftlichen Entwicklung der Donaumonarchie bei.

Arthur Schnitzler © Wiki Commons - Public Domain
Arthur Schnitzler © Wiki Commons - Public Domain

Noch bedeutender ist der kulturelle Beitrag der jüdischen Intelligenz zur Zeit der „Wiener Moderne“ um 1900. Der zunehmende Antisemitismus des späten 19. Jahrhunderts stellt den Weg der Assimilation allerdings in Frage. Einen herben Einschnitt stellt das Ende der Habsburgermonarchie 1918 dar, mit der sich die Mehrzahl der Juden politisch identifizieren konnte. Zahlreiche jüdische Schriftsteller wie Stefan Zweig, Joseph Roth, Franz Werfel oder Friedrich Torberg haben ihr in ihren Werken ein unvergängliches Denkmal gesetzt.

Das NS-Regime hat das österreichische Judentum nahezu völlig ausgelöscht. Mit ihm ist auch ein zentrales Kapitel österreichischer Identität und Kultur untergegangen. Für das heutige Österreich ist Erinnerungsarbeit daher moralische Pflicht. Hoffnung mag darin gesehen werden, dass es heute wieder eine, wenn auch kleine, jüdische Gemeinde in Wien gibt und jüdisches Leben in diese Stadt zurückgekehrt ist.

 

 

Programm

 

Der Rundgang beginnt im ehemaligen Getto in der Leopoldstadt an der Stelle der einstigen Synagoge. Über die große Sperlgasse, einst Hauptstraße des Gettos, kommen wir in die Zirkusgasse, in der der „Türkische Tempel“, die wichtigste Synagoge der Sepharden in Wien, stand. In eine andere Welt führt die nahe Praterstraße; sie war mit zahlreichen Cafés, Theatern und Tanzlokalen das Vergnügungsviertel der Stadt, auch „Wiener Broadway“ genannt. In der nahen Tempelgasse befand sich einst die größte Synagoge Wiens; sie wurde im Novemberpogrom 1938 von den Nazis zerstört. Das ehemalige Carl-Theater, bedeutendste Bühne des Wiener Volkstheaters und Spielstätte Nestroys, vermittelte wohl auch Arthur Schnitzler wichtige Anregungen, dessen Geburtshaus wenige Schritte weiter zu sehen ist.

Dann überqueren wir den Donaukanal und gelangen in die historische Altstadt. Um den Ruprechtsplatz hatten in der frühen Neuzeit viele jüdische Kaufleute ihre Niederlassungen, der Name „Judengasse“ erinnert noch heute daran. In der nahegelegenen Seitenstättengasse befindet sich die einzige historische Synagoge, die das Novemberpogrom 1938 überstanden hat. Danach kommen wir zu einem der wichtigsten Plätze des mittelalterlichen Wiens, dem Hohen Markt. Auf Nr.1 befand sich einst das Palais, in dem Fanny Arnstein ihren legendären Salon führte. Nach einem reizvollen Spaziergang durch das einmalig erhaltene Altwiener Stadtviertel der Tuchlauben (TuchlaubenKleeblattgasse, Kurrentgasse) gelangen wir ins Herz der mittelalterlichen Judenstadt am Judenplatz. Das Mahnmal Rachel Whitereads für die Opfer der Schoa wurde direkt über den archäologischen Resten der Synagoge aus dem 13. Jahrhundert errichtet. An diesem Ort des Gedenkens und der Erinnerung endet der Rundgang. Das Museum am Judenplatz mit seiner faszinierenden Mittelalterpräsentation und den Überresten der Synagoge kann im Anschluss an die Führung besichtigt werden.

 

Praktische Hinweise

 

TREFFPUNKT: U-Bahnstation Taborstrasse (Ausgang Taborstraße); mit der U-Bahnlinie U2 erreichbar.

DAUER DER FÜHRUNG: 2,5 Stunden.

ENDE DER FÜHRUNG: Judenplatz (1. Bezirk).

WEITERE SEHENSWÜRDIGKEITEN:

Neben dem Museum am Judenplatz bietet sich ein Besuch des Jüdischen Museums in der Dorotheergasse (1. Bezirk) an.

Sehenswert ist außerdem der jüdische Teil des Zentralfriedhofs in Simmering (siehe den Rundgang zum Zentralfriedhof).

LITERATURANGABEN: Hans Tietze, Die Juden Wiens. Geschichte, Wirtschaft, Kultur, Wien 1987.

Michaela Feurstein-Prasser, Gerhard Milchram, Jüdisches Wien, Wien 2007.

Bob Martens, Herbert Peter, Die zerstörten Synagogen Wiens. Virtuelle Stadtspaziergänge, Wien 2010.

Jacques Le Rider, Das Ende der Illusion. Zur Kritik der Moderne, Wien 1990.

 

(© wenn nicht anders angegeben Fotos Reinhard Travnicek)